Mittwoch, 2. Oktober 2013

John Gilbert - You don't know Jack! - Zusammenfassung

Eine Zusammenfassung hatte ich bereits einmal geschrieben, ich war aber nicht damit zufrieden. Hier also die überarbeitete Version. ;)

John Gilbert! Wer ist dieser Kerl überhaupt?
Der große romantische Liebhaber der Stummfilmzeit.
Der verarmte Junge, der während seiner Kindheit nirgendwo zu hause war und es als Erwachsener zu großen Triumphen weltweit brachte.
Die tragische Person, die es nicht schaffte im Tonfilm Fuß zu fassen, da seine Stimme fiepsig war, deshalb innerhalb kürzester Zeit total vergessen wurde und als Alkoholiker viel zu jung starb.

Ja. Das liest man immer wieder. Aber das ist so nicht richtig. Es ist - wie alles im Leben - sehr viel komplexer und vielschichtiger.

Die grandiose Dokumentarfilm Reihe von Kevin Brownlow über die Stummfilm-Zeit "Silent Hollywood" sei allen hier ans Herz gelegt. Schnipsel davon gibt es auf YouTube zu finden, bitte fleißig zusammen suchen.
In der Folge "Star Treatment" wurden die zwei Stars Clara Bow und John Gilbert vorgestellt.
Das Segment über John Gilbert gibt es auf YouTube als drei Teile zu sehen, ich habe sie hier verlinkt.

Clara Bow und John Gilbert waren die beiden großen Stars, die es unerklärlicherweise nicht schafften ihren enormen weltweiten Erfolg im Stummfilm fortzusetzen. So heißt es zumindest immer.

Jack Gilbert war keine einfache Persönlichkeit. Das sagen die Menschen, die ihn damals gut kannten. Und er hatte ein schweres Alkoholproblem. Auch in der Zeit seiner großen Erfolge. Eigentlich ist es eher unerklärlich, dass er es so lange schaffte trotz dem vielen Alkohol, der vielen vielen und turbulenten Frauengeschichten und seiner Raucherei und später weiteren Drogen sich vor der Kamera nichts anmerken zu lassen.


Den unvergleichen Erfolg, den Stummfilmstars weltweit erlebten, können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Denn Stummfilme funktionierten überall! Wirklich überall!! Man benötigte noch nicht mal einen Kinosaal. Was man brauchte war ein Projektor, die Filmrollen und eine Fläche auf die der Projektor den Film werfen konnte.
Es war damals durchaus üblich, dass nicht nur live Musik zum Film gespielt wurde, sondern auch ein "Erzähler" dabei war, der die Zwischentitel vorlas. Stummfilme waren vor allem das Medium der frisch Eingewanderten und wenig Gebildeten, die der englischen Sprache noch gar nicht richtig mächtig waren. Ins Theater konnten die Einwanderer nicht gehen, sie verstanden kaum etwas. Da blieben vor allem die Stummfilme. Diese Situation lässt sich natürlich auf alle Länder übertragen! Alle Stummfilmstars, die auf Reisen gingen, erlebten es, dass sie auf der ganzen Welt erkannt wurden. (Sogar lange nach der Stummfilmzeit.) Es ist keine Übertreibung, wenn heute noch geschrieben wird, dass Mary Pickford die bekannteste Persönlichkeit aller Zeiten ist. Ihre Filme wurden weltweit gezeigt. Viele kannten wahrscheinlich noch nicht mal ihren Namen, aber ihre Filme wurden überall gesehen. In Hollywood in den Kinos und auch in China an Hauswände projeziert.
Die großen Stars der Stummfilmzeit waren tatsächlich die Stars dieser Zeit.
Zeitungen konnten die Sprachgrenzen nicht überschreiten.
Theater konnten die Sprachgrenzen nicht zu überschreiten.
Stummfilme schafften den Sprung aber ganz leicht.

Man kann also wirklich behaupten, dass die ganze Welt Jack während seiner großen Erfolge liebte. Er verdiente so viel Geld wie sonst kein anderer Schauspieler. Rekordsummen!
Auf seiner Hochzeitsreise nach Europa mit Ina Claire wurde er ständig von Fans umlagert.
Und trotzdem war Jack immer noch extrem selbstzerstörerisch.

Das Glück kommt halt doch von innen. Viele Menschen haben grausame Lebensverhältnisse durchlebt und schaffen es ein gutes Leben zu führen. Jack schaffte es leider nicht. Und dabei hatte er alles um ihn glücklich zu machen. Das ist wohl eher die Tragik seines Lebens.


Wie es Leatrice Joy, seine zweite Ehefrau, in der Dokumentation "Silent Hollywood" sagt: "Viele Menschen wurden mit Quecksilber verglichen. Aber Jack Gilbert WAR Quecksilber. Berühre ihn und er verschwand."

Was blieb ist eine große Mythenbildung. Der tragische Held, der den Studioboss gegen sich hatte. (Kann sein, aber warum sollte dieser seine größte Investition zerstören?) Der großartige Schauspieler, der eine piepsige, weibliche Stimme hatte. (Stimmt nicht, kann man sich selbst von überzeugen.) Und seine schreckliche Kindheit, die ihn verfolgte ...

Wir haben viel über Jack erfahren.
Seine Geburt im Juli 1897. Sein Leben mit der Theatertruppe seiner Eltern in den folgenden Jahren.
Der Tod seiner Mutter als er gerade einmal 16 Jahre alt war.
Seine Mutter wollte ihn nicht haben? Selbst damals gab es für Frauen Möglichkeiten Schwangerschaften zu beenden. Hätte Ida das wirklich gewollt, wäre ihr das - gerade als Frau die von Stadt zu Stadt zog und sich nicht dem städtischen Tratsch aussetzen musste - irgendwie möglich gewesen. Selbst als Jack schon auf der Welt war, hätte sie ihn loswerden können. Die Familie wollte und konnte ihn nicht nehmen. Sie hätte ihn aussetzen können, in ein Heim geben. Diese Heime waren grauenhaft, aber es wäre eine Alternative für Ida gewesen, von der sie sicher wußte.

Aber Ida, so scheint es, war nicht so schrecklich wie es immer gesagt wurde.
Ihr Beruf, die Schauspielerei, bietet sich nicht dafür an ein Kind bei sich großzuziehen. Das wird sie verstanden haben, daher versuchte sie Jack bei Verwandten unterzubringen.
Dazu kommt die Frage, was man mit dem Kind macht, wenn man probt oder auftritt. Im Schrank einsperren klingt plötzlich gar nicht mehr so herzlos. (Obwohl ich das niemals mit Kindern machen würde. Aber besser als wenn etwas Schlimmeres passiert, wenn das Kind herumtollt ohne Aufsicht in einer Welt, die nicht für Kinder geschaffen ist.)
Jack litt darunter, dass ihm ständig neue "Daddies" vorgestellt wurden. Hmm, wie viele neue Daddies er überhaupt je hatte, wissen wir nicht und werden es nie erfahren. Aber sein Vater John Pringle war bereits wenige Jahre nach seiner Geburt nicht mehr in seinem Leben. Sein Stiefvater, der ihn wohl auch adoptierte, war bis in Jacks Erwachsenenleben Idas fester Partner.
Die Frage nach dem Vater ist sowieso spannend, denn eigentlich wissen wir nichts!
Es gibt anscheinend keine Geburtsurkunde. (Obwohl in seinem wahrscheinlichen Geburtsort Logan, Utah damals bereits fleißig Geburtsurkunden angefertigt wurden! Die Mormonen - die Apperleys waren Mormonen! - waren schon damals intensiv mit Genealogie beschäftigt, dementsprechend achtete man eigentlich auch auf die Dokumente.)
Wir können dennoch davon ausgehen, dass John Pringle Jacks Vater war.
Jacks Geburtsname war Cecil John Pringle.
Als John Pringle aus der Familie ... naja, "weg" war, hieß Jack plötzlich John.
Das ist genealogisch betrachtet gar nicht ungewöhnlich. Söhne oder Töchter die zwei Vornamen tragen. Einer der Vornamen eines Elternteiles. "Verlässt" der Elternteil die Familie, wird der Rufname schon mal der Rufname des Elternteils.
Der Wechsel von Cecil zu John ist also ein kleiner naheliegender Schritt.
Aber der Wechsel der Nachnamen ist eine andere Sache.
Dokumente zu einer Hochzeit zwischen John Pringle und Ida Idair konnte ich nicht finden. Haben die beiden überhaupt geheiratet?
Die Hochzeitsurkunde von Walter Gilbert und Ida haben wir gesehen.
Kurioserweise gibt Ida an, dass sie bereits einmal verheiratet war. Aber ihr Ehename soll "Greenleaf" gewesen sein??
Das kann natürlich auch ein Schreibfehler sein, diese gibt es auch auf offiziellen Dokumenten. Aber es ist schon eigenartig, dass Jack ab der Hochzeit John Gilbert hieß.
Über die Adoptionsbedingungen zu dieser Zeit in den USA weiß ich leider so gut wie nichts.
Aber ich denke schon, dass der Geburtsvater zumindest der Adoption seines leiblichen Kindes zustimmen musste, oder?
John Pringle ... das ist eh ein interessanter Fall. Ich denke, an ihm kann man noch sehr viel Zeit mit spannender Recherche verbringen, aber das würde hier wirklich den Rahmen sprengen.
War John Pringle in der Zeit, als er mit Ida zusammen war, eventuell schon verheiratet??
Das würde Jack zu einem unehelichen Kind machen.
Dieses uneheliche Kind wäre eventuell "einfacher" bei einer Hochzeit zu adoptieren, oder?
Gehen wir davon aus, dass Ida den Namen "Greenleaf" selbst angegeben hat, so hätte sie damit den "Spur" zu John Pringle (der vielleicht verheiratet gewesen war - allerdings nicht mit Ida!) verwischen können.
So lange keine Scheidungsdokumente zu dieser ersten (?) Ehe von Ida auftauchen, werden wir es nicht erfahren. Adoptionspapiere wären auch spannend, aber diese sind von US Staat zu Staat so schwierig einzusehen, dass es wohl ein schweres Unterfangen wäre hier mehr über Jacks Leben zu erfahren ...

Zurück zu Jacks Schilderungen, dass es ständig wechselnde Männer in Idas Leben gab. (Wir müssen uns hier vor Augen führen, dass Jack vieles in seinem Leben gerne ausschmückte.)
Ob Ida fremdging, können wir nicht sagen.
Falls es da Zweifel gibt, wie die Eheleute zueinander standen, schaue man sich Idas Grabstein an. Darauf steht "Ida Adair Wife of Walter B Gilbert".
Walter, der sich wahrscheinlich um den Stein kümmerte wird sich ihr so stark verbunden gefühlt haben, dass er seinen Namen auf den Grabstein schrieb. Auf Idas Totenschein steht "W. B. Gilbert" als "Informant", der den Tod meldete. Die zwei haben also bis zu Idas Tod zusammengelebt.
Für mich klingt das nicht danach, dass Ida sich von ihm abgewandt hatte. Oder Walter von ihr.

Ida war vielleicht nicht die beste Mutter. Aber sie war sicherlich nicht die schreckliche Person als die sie immer dargestellt wird. Das ist fürchterlich ungerecht.

Denn wo waren Jacks Väter?? Weder sein Geburtsvater noch sein Stiefvater nahmen sich dem Jungen an! Warum wird also die ganze Last auf Idas Schultern gelegt?

Johnnie Pringle kam zu seinem Sohn, als dieser bereits ein bekannter Hollywoodstar war. Johnnie ließ sich als Komparse bei einer großen Produktion anstellen, bei der Jack die Hauptrolle spielte.
Johnnie stellte sich Jack auf dem Filmset als seinen Vater vor.
Warum interessierte sich Johnnie erst dann für Jack?

Erfolg hat viele Väter! So einfach ist es.

Walter Gilbert schneidet nicht viel besser ab. Als Ida starb, drückte er Jack drei Sachen in die Hände - ein Zugticket, den Schminkkasten seiner Mutter (den Walter nicht hatte verkaufen können!) und zehn Dollar.
Jack war 16 Jahre alt und wurde eiskalt von seinem Vater abserviert. Und quer durch Amerika nach San Francisco geschickt. Walter hätte ihn auch zu sich nehmen können, so wie es Ida tat. Walter hätte ihn in ein Internat stecken können, bis Jack erwachsen war. Er hätte ihn auch zu seinen Verwandten schicken können ... aber er schickte Jack direkt nach der Beerdigung fort.
Zwar half er durch seine Verbindungen Jack einen Job beim Film zu besorgen. Aber als Jack sich verzweifelt an ihn wand, als er kein Geld mehr hatte und seine Frau Olivia Burwell nicht mehr ernähren konnte, da bürstete Walter ihn wieder ab. Nein, er würde nicht helfen, er hätte sich halt was zurücklegen sollen. Jack sagte dazu später nur noch "Danach habe ich keine Briefmarken mehr wegen ihm verschwendet." Der Kontakt zwischen den beiden brach ab.

Zu seinen Vätern und deren Familien hatte Jack keinen Kontakt.
Aber sehr wohl zur Familie seiner Mutter.
Die Familie, so haben wir es gesehen, waren Mormonenpioniere in Utah. Wir können davon ausgehen, das deren Leben hart und einfach war. Deshalb dürfte es unmöglich gewesen sein den kleinen Jack aufzunehmen. Idas Mutter war selbst ein ziemlich traumatisierter Mensch, der kein gutes Familienleben kannte. Ida wird bereits in ihrer Jugend Verantwortung übernommen haben. Sie nahm ja auch später ihre kleine Schwester Clara mit auf Tournee als die Mutter aus Idas Familie fortging. Schade, dass Ida immer so schlimm wegkommt!

Jack hätte auch ein zuhause in Logan, Utah finden können. Er liebte kaum etwas so sehr wie Lesen. Das kann man in fast allen seinen Interview ihn selbst sagen hören. Auf Tournee konnte er natürlich keine Bücher mit sich führen. Aber bei seinem Großvater Apperley in Logan, der Lehrer am College war und der selbst Gedichte verfasste, gab es sicherlich Zugang zu vielen Büchern!
Auch hätte er theoretisch dort die Möglichkeit gehabt ein geistig-religiöses Zuhause zu finden, was ihm etwas Ruhe und Stabilität hätte geben können. In der Mormonenstadt Logan wäre das möglich gewesen.

Die Verbundenheit mit der Familie seiner Mutter ging über Jacks Tod hinaus. In seinem Testament bedachte er Clifford Apperley, da dieser einer der wenigen in seiner Kindheit war, der es gut mit ihm meinte. Clifford war nur wenige Jahre älter als Jack und nahm ihn unter seine schützenden Flügel.

Trotzdem ging sein Leben turbulent weiter. Er fand einfach nicht zur Ruhe.
Es ist schade für Jack, aber wir können uns auch mit ihm freuen, dass zumindest die letzten Monate seines Lebens gut für ihn verliefen.

Marlene Dietrich. Man kann über sie denken was man will. Was alle über Marlene berichten ist, dass sie unheimlich warmherzig und bemutternd mit den Menschen war, die sie liebte. Und Marlene liebte Jack bis zu seinem Tod.
Sie hat für ihn gekocht, ihn vom Alkohol weggebracht, ihn bemuttert! Sie hat sich darum gekümmert, dass er seine Tochter Leatrice kennenlernte und den Kontakt pflegte. Ja, sie besorgte ihm sogar seinen letzten Filmvertrag.
Diese Rolle konnte er nicht spielen, da er seine Gesundheit so stark ruiniert hatte. Aber dennoch, es waren gute Monaten für Jack.

Gönnen wir es ihm.
Und erinnern wir uns an den wundervollen Schauspieler, der uns immer noch erhalten ist. Und an dem wir uns für immer erfreuen können! :)

Schauen wir uns "The Big Parade" (1925) an. Der erste Anti-Kriegsfilm. Ein absoluter Kassenschlager, der auch noch heute funktioniert. Romanze und dramatische Kriegsszenen. Und auch lustige Momente abseits der Schlachten. Sehenswert!

Schmachten mit Jack! Mit Greta Garbo in "Love" (1927).

Schmachten mit Jack und Greta Garbo in "Flesh and the Devil" (1926)

Schau Dir "Downstairs" (1933) an. Das Drehbuch schrieb Jack und er spielt keinen angepassten gestriegelten Kerl, sondern einen ziemlich hinterlistigen Chaffeur ... der sogar ein deutsches Lied singt! Wunderbar, Herr Priegel! ;)

Schau Dir "Heart o' the Hills" (1919) an. Der eigentliche Star ist Mary Pickford. Aber den jungen Jack Gilbert in einer durchgehenden Nebenrolle wirst Du nicht mehr vergessen können!



"He Who Gets Slapped" (1924) mit Lon Chaney als tragischer Zirkusclown und Jack als Akrobat (der auch einige Kunststücke selbst vorführt).

Tanze mit Jack und der fröhlichen Witwe in "The Merry Widow" (1925).

Und verliebe Dich ein bißchen in Jack, den romantischen Helden der ausgehenden Stummfilmzeit.
"Bardelys the Magnificent" (1926).

Schau Dir auch ruhig die Filme an, die er inspiriert hat. "Singin in the Rain" oder "The Artist". Aber denke daran, dass es auch die wirkliche Person Jack gab, die nicht den Klischees entsprach.

Lass uns Jack Gilbert nicht vergessen. :)

Teil 1 - You don't know Jack!
Teil 2 - Seine Jugend und frühen Hollywoodjahre
Teil 3 - Die Erfolgsjahre
Teil 4 - Die späten Jahre und sein Tod
Teil 5 - Ida Adair und ihre Familie
Teil 6 - Ida Adairs Eltern
Teil 7 - Jacks Väter

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